Die Chora-Kirche in Istanbul
Chora-Kirche, auf türkisch Kariye Camii
Die Chora-Kirche (mit türkischem Namen Kariye Camii) liegt im Istanbuler Stadtteil Edirnekapı. Diese Kirche stammt in ihrer heutigen Form aus dem frühen 14. Jahrhundert.
Die bildliche Ausschmückung der Chora Kirche zählt nicht nur zu den bedeutendsten und aufwändigsten Sakralzyklen weltweit, sondern ist auch das wohl herausragendste Beispiel für die Bildkunst der palaiologischen Renaissance
Geschichte
Schon im 5. Jahrhundert stand außerhalb der Mauern, die Konstantin der Große im 4. Jahrhundert um seine neue Hauptstadt errichtet hatte, eine Kirche, die nach ihrem Standort unter dem Namen Chora – freies Land, Felder bekannt war. Als Theodosius II. die Verteidigungsmauer, die so genannte Theodosianische Landmauer, weiter nach Westen verlegte, blieb der Name bestehen, obwohl der Gebäudekomplex nun in das eigentliche Stadtgebiet einbezogen wurde. Die Bezeichnung hat in der Folge, als die ursprüngliche Herkunft der Benennung in Vergessenheit geriet, symbolhafte Bedeutung angenommen, was die Inschriften in der Kirche belegen, die in den Mosaiken Christus als Land der Lebenden und Maria als Land des Unendlichen bezeichnen. Selbst der türkische Name Kariye hat diese Tradition fortgeführt – das Wort arabischen Ursprungs bedeutet Dorf, Land, Wiese, Feld.
Die Baugeschichte der Chora-Kirche lässt sich anhand der architektonischen Zeugnisse nachverfolgen. Bereits in der Zeit vor Justinian I. (527–565) soll es an der Stelle der heutigen Chora-Kirche ein kleines Gebäude gegeben haben, von dem sich aber nichts erhalten hat. Unter Justinian, vielleicht im Anschluß an das Erdbeben 557, wird die Errichtung des Gebäudes vermutet, von dem sich Substrukturen erhalten haben, die aber weder genau datiert noch mit Hilfe von Quellen eindeutig identifiziert werden können.
Mit der Bautätigkeit der Komnenen an dieser Stelle beginnt die Baugeschichte der heute erhaltenen Chora-Kirche. Im späten 11. Jh. (1077-81), errichtete Maria Doukaina, die Schwiegermutter des Kaisers Alexios I. Komnenos eine kleine Kreuzkuppelkirche, ein Hauptraum mit vier Säulen, die eine Kuppel trugen, sowie einen Narthex und eine Apsis. Es deuten keine Anzeichen daraufhin, dass es sich um einen Umbau handelte, vielmehr muss angenommen werden, dass es sich um einen Neubau handelte. Von diesem Bau sind heute nur noch Reste des Fundaments der Apsis erhalten. Die Kirche wurde durch ein Erdbeben zerstört.
Die orthodoxen Kirchen der byzantinischen Tradition
Daraufhin errichtete ein Enkel der Maria Doukaina, Sabstokrator (Erhabener Herrscher) Isaakios Komnenos, der 3. Sohn Alexios' I. (abgebildet im Deësis-Mosaik), im frühen 12. Jh. (um 1120) eine laut Beschreibung einschiffige Kuppelbasilika mit kreuzförmigem Grundriss mit kurzen Kreuzarmen. Diesen Grundaufbau zeigt auch noch die heutige Kirche. Von der Kirche des Isaakios Komnenos haben sich Mauern der Apsis und des Hauptschiffs erhalten, die in Ziegelbauweise ausgeführt wurden. Bemerkenswert ist diese Kirche durch den Fund von buntem Glas und Blei bei den Renovierungsarbeiten, die der bis zu diesem Fund verbreiteten Annahme widersprechen, bunt bemalte Glasfenster habe es nur im Westen gegeben. Isaak Komnenos ließ seine Grablege nach Viros verlegen, da er dort ein weiteres Kloster gegründet hatte, ließ aber sein Stifterbild in der Kirche. Im palaiologische Mosaik der Deësis, auf dem Isaak abgebildet ist, finden wir den Bezug auf das ältere Stifterbild.
Ihr heutiges Aussehen erhielt die Kirche unter Theodor Metochites, Kanzler und erster Schatzmeister unter Andronikos II. Palaiologos. Er renovierte die schon fast zerfallene Kirche in den Jahren 1315-21, baute Teile um (Esonarthex, Seitenapsiden) und ließ sogar neue Anbauten errichten (Exonarthex mit Glockenturm, Parekklesion, zweigeschossiger Annexbau im Norden); berühmt sind v.a. die auf ihn zurückgehenden Mosaiken und Fresken.
Als Baumaterial wurde Haustein und Ziegel verwendet, die in wechselnden Schichten aufgetragen wurden. Die resultierende dekorative Wirkung steht im Gegensatz zur einfachen Ziegelbauweise des älteren Kernbaus.
Etwa ein halbes Jahrhundert nach der Eroberung Istanbuls durch die Osmanen wurde die Chora-Kirche, die bis dahin dem christlichen Ritus gedient hatte, von Atık Ali Paşa, dem Großwesir Bayezıts II., in eine Moschee umgewandelt und in Kariye Camii umbenannt. Es wurde ein Minarett angebaut, die Fresken im Hauptschiff wurden mit Holz verkleidet, der Wandschmuck in den Narthikes war hingegen immer frei geblieben.
Die häufigen Erdbeben in der Region zerstörten im Laufe der Zeit einiges, so stürzte etwa während eines Erdbebens 1766 die Kuppel der Kariye-Camii ein und musste neu gebaut werden; daneben wurden mehrere Renovierungsarbeiten und Anbauten (Armenküche, Armenschule, Mausoleum) ausgeführt. Im 18. Jh. schließlich war die Kirche zu einer Ruine verfallen. Sie wurde 1875 unter Sultan Abdul Aziz und 1899 unter Abdul Hammit anläßlich des Besuchs von Kaiser Wilhelm II. restauriert.
1948 organisierten Thomas Whittemore und Paul A. Underwood ein vom Byzantine Institute of America und dem Dumbarton Oaks Center für byzantinische Studien gesponsertes Restaurierungsprogramm. Während der 10 Jahre dauernden Arbeiten wurden die Mosaiken und Fresken gesäubert und, wo sie von Farbe oder Putz verdeckt waren, freigelegt.
Rund um die Kariye Camii hat der türkische Automobilclub TTOK einen Komplex von Holzhäusern aus osmanischer Zeit renoviert.
Architektur der Kirche
Der Istanbuler Kirche sind ein Eso- und ein Exo-Narthex vorgelagert, auf der rechten Seite ist eine Seitenkapelle (Parekklesion) und auf der linken eine zweistöckige Galerie. Über dem Mittelschiff ruht eine Kuppel, die in ihrer heutigen Form von den Osmanen erbaut wurde.
Von außen ist bei der Chora-Kirche deutlich eine Asymmetrie im Grundriß zu erkennen. Während die traditionelle Architektur forderte, daß der Haupteingang zur Kirche auf der Hauptachse des Naos liegen muß, führten die von Metochites angebauten beiden Narthikes dazu, dass der Haupteingang zu der in dieser Weise über die Breite der Kirche und des Parekklesions verbreiterten Hauptfassade für den Betrachter nach Norden verschoben erscheint. Dies zog ebenfalls nach sich, dass die Narthikes nicht mehr in zwei gleiche Teile, sondern der innere rechts durch ein Joch, links durch zwei geteilt wurde. In der Folge fielen auch die Kuppeln unterschiedlich groß aus. Aus den gleichen Gründen lässt sich auch die unterschiedliche Einteilung des äußeren Narthex erklären. Auch hier war die Achse für den Eingang vorgegeben, lag aber nicht in der Mitte.
Gegenüber dem üblicheren Kreuzgewölbe ungewöhnlich sind die Domikalgewölbe (Kuppelwölbung) der Narthikes; um die nichtquadratischen Joche in dieser Form zu überwölben wurden sie mit Hilfe von Bögen an den Ost- und Westwänden auf ein Quadrat reduziert. Durch diese Technik wurde mehr Platz für szenische Darstellungen geschaffen, was ebenso wie die große, gedrängt wirkende Anzahl der Rippen in der Kuppel darauf hinweist, dass das ikonographische Programm bereits in großen Zügen feststand und auf die Architektur abgestimmt war. Andererseits belegen Wiederholungen und Streckungen in den erzählenden Zyklen wie etwa das zweimalige Erscheinen der Speisung der Jungfrau im Tempel oder die Verteilung des Massakers der Unschuldigen in vier Lunetten, dass das ikonographische Programm noch nicht im Detail ausgearbeitet war.
Infoxbox |
Adresse Chora-Kirche Kariye Camii Sokak, Edirnekapi Istanbul |
Öffnungszeiten: täglich außer mittwochs: 9:00-16:30 Uhr |
Mosaiken der Chora-Kirche
Die Mosaiken entstanden im Zuge der Renovierungsarbeiten unter Metochites zwischen 1310 und 1320. Die Anordnung weist auf kein dogmatisches Schema oder System hin. Sowohl der Anzahl nach wie stilistisch gelten sie als die herausragendsten Beispiele für die Bildkunst der palaiologischen Renaissance. Besonders im inneren Narthex bereits vom streng stilisierten byzantinischen Stil des 11. Jhs. entfernt, zeigen sie eine freiere Figuration, größeren Farbenreichtung, Interesse am Naturalismus und eine Hinwendung zum Diesseits, die eine neue Zeit einläuten mit einer Verkleinerung der Figuren im Verhältnis zu ihrer Umgebung, der Interaktion von Figuren in Handeln und Gespräch und dem Bemühen um überzeugende narrative Szenen. Bewegte Gewänder, der Zusammenschluss von interagierenden Figuren durch die Linienführung, Asymmetrien in der Gestaltung der Figuren, die ohne Aufgabe der Frontalansicht eine Hinwendung zum Gegenüber andeuten, oder der Bezug von Figuren durch den architektonischen Raum hindurch versuchen, dem neuen Anspruch gerecht zu werden. Gleichzeitig wird jedoch keine Anstrengung in Richtung einer räumlichen Perspektive unternommen, sondern die Figuren werden in allen Szenen vor dem typischen Goldgrund auf grünem Mosaik in verschiedenem Abstand positioniert, was dem Bemühen um Wirklichkeit keine Natürlichkeit zugesellt.
Leitmotive der Darstellung sind die Menschwerdung Gottes (die Inkarnation) und die damit verbundene Erlösung der Menschen. Das zweite Kommen Christi als zentrales Motiv der Fresken der Grabkapelle rundet dieses Konzept ab.
Der Besucher der Chora-Kirche wird empfangen von von Christus Pantokrator über dem Portal zum inneren Narthex. Dahinter gegenüberliegend über dem Haupteingang erscheint die Muttergottes: Die Neugründung war somit Christus und Maria geweiht. Nach Durchschreiten des äußeren Narthex stößt man auf das Stiftermosaik, das Theodoros Metochites kniend darstellt, wie er Christus ein Modell seiner Kirche darbringt; zwei Mosaikikonen Petrus und Paulus flankieren den Durchgang. Rechts vom Portal in der östlichen Wand des südlichen Seitenschiffsfindet sich die sog. Deësis, die Darstellung Christi mit Maria (rechts) und Johannes dem Täufer (links, der hier bemerkenswerter Weise fehlt). Die Südkuppel davor zeigt Christus Pantokrator und die Genealogie Christi, die Nordkuppel Maria und ihre Vorfahren. Im unter der Kuppel anschließenden Gewölbe beginnt der Zyklus aus ursprünglich 20 Szenen mit Darstellungen aus der Legende des im Mittelalter sehr beliebten Marienlebens. Der Bildzyklus im äußeren Narthex beginnt mit der Kindheit Jesu und setzt sich mit den Darstellungen des öffentlichen Wirkens Christi in den inneren Narthex hinein fort. Heiligenportraits und das Mosaik der sterbenden Jungfrau im Kirchenschiff runden das Gesamtbild ab.
Die Mosaiken im Einzelnen:
Zyklus aus dem Leben der Gebenedeiten Jungfrau Maria
Darüber hinaus gibt es noch den "Zyklus über das Heilswirken Christi"
Dieser Zyklus befindet sich in den Wölbungen der sieben Joche des Exonarthex sowie im südlichen Joch des Esonarthex, i.e. der Ausgangspunkt der Zyklen. Leider sind die Wölbungen bis auf eines stark zerstört.
Parekklesion – Architektur
Das Parekklesion besteht aus zwei fast gleich großen Quadraten, von denen das Westliche mit einer gerippten Kuppel, die auf einem Tambour mit zwölf Fenstern steht, versehen ist. Das Bema im Norden besteht aus einem Bogen und der Apsis. Das Joch zwischen Rippenkuppel und Bema trägt ein ähnliches Gewölbe wie die Joche des Narthex. Unterhalb der Bögen läuft ein Fries an den Wänden entlang. Auf jeder Seite der beiden Joche ist ein Arkosolgrab.
Parekklesion – Fresken
Die qualitätsvollen Fresken in der südlichen Seitenkapelle (Parakklesion) waren der letzte Auftrag des Kanzlers Theodoros Metochites und datieren wohl aus den Jahren 1320 und 1321. Sie stammen von der Hand eines einzigen Künstlers, vermutlich demselben, der auch die Vorlagen für die Mosaiken entwarf; über seine Person ist nichts überliefert.
Das Bildprogramm ist typisch für Darstellungen in einer Grabkapelle: Es sind Themen der Wiederauferstehung und das Jüngste Gericht. Die Gemälde oberhalb des Simses stellen Christus als Weltenrichter, Himmel und Hölle sowie Maria als Mittlerin zwischen Himmel und Erde dar. In der Konche der Apsis ist die Auferstehung (griech. Anastasis) zu sehen. Im Zentrum steht Christus, der gerade die Felsen und Tore der Hölle gesprengt hat, der gefesselte Satan liegt zu seinen Füßen. Mit der rechten Hand zieht er Adam aus dem Grab, mit der linken befreit er Eva. Hinter Adam stehen Johannes der Täufer, David und Salomon, in Evas Grab Abel und eine Gruppe von Gerechten.
Die Fresken sind wie die Mosaiken herausragende Beispiele der palaiologischen Kunst. Thematik, Zeichnung und die neue reichhaltige Farbskala verschmelzen zu einer Einheit.
Der Fries teilt das Parekklesion in zwei Teile: die senkrechten Wandteile, die mit figürlichen Darstellungen geschmückt sind, und die Gewölbezone, die szenische Darstellungen umfaßt. Eine dritte Zone bildet die Kuppel, wieder mit Figurendarstellungen.
Hauptpersonen des Bildprogramms sind wie in den Narthikes Jesus und Maria. Jedoch wird hier nicht ihre Rolle bei der Inkarnation Gottes versinnbildlicht, sondern ihre erlösende Kraft Jesu und Mariä. Darüber hinaus sind noch Szenen aus dem Alten Testament dargestellt, die als Präfigurationen der Jungfrau galten und eine Reihe von Heiligen in der unteren Wandzone über der Marmorimitation. In der Apsis sind die Kirchenväter in Bischofskleidung dargestellt, auf den verbleibenden Wandflächen sieht man hauptsächlich Soldatenheilige.
Die Fresken des Parekklesion im Einzelnen:
Auferstehung und Jüngstes Gericht
Die Gottesmutter und ihre Präfigurationen
Heilige und Märtyrer längs der ganzen unteren Wandzone
Parekklesion - Gräber
Die vier Gräber in der Kapelle liegen in tiefen Nischen. Ursprünglich standen dort Sarkophage. Darüber sind noch Spuren der einstigen Mosaiken und Fresken zu sehen.
Eine aufwändig gemeißelte und verzierte Archivolte ziert das Grab am nördlichen Ende der Kapelle. Die Namensinschrift ist verloren, dennoch gilt als sicher, dass es sich hier um das Grab des Stifters der Kirche, Theodoros Metochites, handelt. Er war eine der bedeutendsten Persönlichkeiten seiner Zeit, ein typischer Vertreter der Renaissance: Diplomat, hoher Regierungsbeamter, Theologe, Philosoph, Historiker, Astronom, Dichter und Kunstmäzen. Er gilt als einer der Initiatoren der Renaissance der Palaiologen. Nach dem Staatsstreich durch Andronikos III. (1328–1341) fielen Metochites und die anderen Führer des alten Regimes in Ungnade. Sie verloren ihren Besitz und wurden ins Exil geschickt. Erst kurz vor dem Ende seines Lebens durfte Metochites in die Stadt zurückkehren und zog sich in das Chora-Kloster zurück, wo er am 13. Mai 1331 starb.
Öffnungszeiten der Chora-Kirche
Chora-Kirche
Kariye Camii Sokak, Edirnekapi
Istanbul
Öffnungszeiten:
täglich außer mittwochs: 9:00-16:30 Uhr