Türkisches Schattenspiel: KARAGÖZ
Karagöz Theater - Hand Schattenspiel - Türkisches Schattentheater
Von Emin Senyer, Meister des Karagöz Schattenspiels.
Beim traditionellen türkischen Schattenspiel, nach der Hauptfigur Karagöz benannt, kommen aus Leder geschnittene Puppen zum Einsatz
Die Puppen werden vor einem von hinten beleuchteten weißen Vorhang von der Hand des Puppenspielers, des sog. Hayali bewegt. Dadurch sind die Figuren auf der Zuschauerseite des Vorhangs als Schatten zu sehen.
Während es in vielen Gegenden der Welt traditionelles Schattenspiel gibt, ist die Besonderheit des türkischen Schattenspiels gegenüber diesen, dass alle Figuren in der Regel von einem einzigen Puppenspieler zum Leben erweckt, d.h. sowohl bewegt als auch gesprochen werden.
In seltenen Fällen, wenn allzu viele Figuren die Szene bevölkern, wird dieser zwar gelegentlich von einem Helfer unterstützt, im Allgemeinen liegt die komplette Vorführung aber in der Hand eines einzigen Meisters.
Karagöz Schattentheater - Geschichte
Die Entstehungsgeschichte des Karagöz Schattentheaters liegt im Dunkeln. Viele Thesen haben sich in der Forschung herausgebildet, mit Quellen untermauern lässt sich letztendlich keine.
Nach einigen Forschern soll das Schattenspiel 1492 ins Osmanische Reich gekommen sein, mit Juden, die sich vor der Inquisition in Spanien hierher flüchteten. Andere Forscher gehen davon aus, dass Zigeuner auf ihrem Weg von Indien in den Westen die Kunst des Schattenspiels mitbrachten.
Prof. Metin And (1927-2008), ein ausgewiesener Experte auf dem Gebiet des traditionellen türkischen Theaters, vertrat die Meinung, dass das Karagöz Schattenspiel über Ägypten ins Osmanische Reich gelangte. Dort hatte dessen Eroberer, Yavuz Sultan Selim im Jahre 1517 offenbar eine atemberaubende Vorstellung gesehen und das Schattenspiel mit nach Anatolien gebracht, im Wunsch, sein Sohn Kanuni Sultan Süleyman solle ebenfalls die Gelegenheit erhalten, ein solches Schauspiel zu sehen.
Ein anderer bekannter Erforscher der traditionellen türkischen Kultur und Autor mehrerer Bücher, Cevdet Kudret (1907-1992) wiederum hält diese These für falsch.
Der Archäologe Ekrem Akurgal (1911-2002) sieht die Ursprünge des Schattentheaters im Mittleren Osten; die von dort nach Anatolien einwandernden Turkstämme sollen ihre Technik des Schattenspiels in die neue Heimat mitgebracht haben, wo sie sich mit den lokalen Techniken zum frühen Karagöz Theater vereint und in der Folge weiterentwickelt habe.
Ebenso umstritten wie die Ursprünge des Karagöz Theaters ist die Frage, ob seine Protagonisten Karagöz und sein Mit- und Gegenspieler Hacıvat auf reale Personen zurückgehen. Einer Legende zufolge handelt es sich bei Hacıvat und Karagöz um Bauarbeiter, die zur Zeit Sultan Orhans am Bau der Ulu Moschee in Bursa mitwirkten; sie sollen die Bauarbeiten verzögert und dafür hingerichtet worden sein. Auch für diese Herleitung gibt es keine Belege, vielmehr spricht historisch gesehen dagegen, dass die Ulu Moschee nicht unter Sultan Orhan, sondern zur Zeit Yıldırım Bayezids erbaut wurde. Es liegt jedoch auf der Hand, dass sowohl die Protagonisten als auch die Nebenfiguren Charaktere sind, die ethnische und soziale Gegebenheiten der Osmanischen Gesellschaft typenhaft zum Leben erwecken, so dass sie zumindest in dieser Hinsicht als „historisch“ gelten dürfen.
Die erste verlässliche Quelle zu den Karagöz Schattenspielen liegt mit dem Surname-i Humayun (Bücher, die Feste wie Beschneidungen und Hochzeiten des Hofes dokumentierten) aus dem Jahre 1582 vor, das zum Gedenken an den Prinzen Mehmed, Sohn Sultan Murad III., die Beschneidungsfeierlichkeiten dokumentierte.
Herstellung der Hand-Spielpuppen
Die Puppen des Karagöz Theater werden aus Leder hergestellt, das so gegerbt wird, dass sie halb durchscheinend sind. Am geeignetsten ist Kamelleder, aber auch aus Rindsleder werden die Figuren heute häufig hergestellt.
Das Leder wird zunächst geschabt, dann werden die Umrisse der Figur aufgezeichnet. Die Außenlinien werden mit einem scharfen Instrument ausgeschnitten, die Innenteile mit einem Nevregan genannten spitzen Instrument gelocht.
Nach dem Schmirgeln und Bemalen werden die Einzelteile an den späteren Gelenkstellen zusammengefügt und ein Loch für den Führungsstab angebracht. Sie sind zum Einsatz bereit.
Figuren und Handlung des Karagöz
Die Hauptrollen des Karagöz Theaters übernehmen zwei Figuren:
Karagöz, nach dem das Spiel benannt ist, und Hacıvat.
Karagöz, nach Ansicht einiger Forscher und einigen Hinweisen in den Stücken selbst möglicherweise im Ursprung ein Zigeuner und in jedem Fall eine Figur aus dem einfachen Volk, ist ein ungehobelter, aber lebensfroher und gewitzter Zeitgenosse, der aus Geldnot häufig gezwungen ist, Aufgaben zu übernehmen, denen er nicht gewachsen ist, wie das Briefeschreiben für andere.
Hacıvat entstammt der städtischen Bildungsschicht, mit ein wenig Schulbildung und Wissen um die gesellschaftlichen Regeln ist er ein Halbintellektueller, der sich darzustellen weiß. Auch er übt für Geld jeden Beruf aus, weiß jedoch, die schweren Arbeiten an andere, in erster Linie Karagöz, zu delegieren und in brenzligen Situationen seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
Die Gegensätze und Streitigkeiten zwischen den beiden unterschiedlichen Nachbarn, dem allseits respektierten Hacıvat und dem Ziel von Spott und Missachtung Karagöz, geben viel Raum für Satire, Ironie und Komik. Die Handlung dreht sich in der Regel um Phänomene aus dem sozialen Leben Istanbuls wie Beschneidungsfeiern, Ringkämpfe, bestimmte Berufe, oder spannt sich um eine Intrige, in die Karagöz meist durch die Verteidigung einer Frau und den Konflikt mit deren Verehrern verwickelt wird.
Die Handlung ist fest im Istanbuler Stadtleben verankert und beleuchtet in typenhafter Erbarmungslosigkeit Eigenarten und Schwächen sozialer, ethnischer und beruflicher Gruppen.
Dialekte und Kleidung spielen eine große Rolle bei der Zeichnung der Figuren.
Zu den häufigsten Nebenfiguren, die solche Typen zum Leben erwecken, gehören Çelebi, der vornehme, sympathische Frauenheld;
Beberuhi, der gesprächige Zwerg oder Bucklige mit Sprachfehler;
Tuzsuz Deli Bekir, der betrunkene, schießwütige und allseits gefürchtete Sittenwächter;
Acem, der persische Händler mit Liebe zur Dichtung und Hang zur Übertreibung;
Arnavut, der stets vor sich hin singende, leicht aufbrausende und mit seiner Waffe drohende Albaner;
Laz, eine Figur vom Schwarzen Meer mit ihrem typischen starken Akzent und Geschwätzigkeit, die häufig den charakteristischen, hektisch anmutenden Tanz der Region, den Horon, aufführt;
daneben gibt es eine Vielzahl von Frauenfiguren jeden Alters und Charakters.
Vorführung des Karagöz Hand-Schattenspiels
Das Spiel besteht aus vier Teilen:
Mukaddime (Einführung)
Muhavere ((Streit-)Rede)
Fasıl (eigentliche Geschichte)
Bitiş (Ende).
Der Puppenspieler, der die Figuren zum Leben erweckt, wird Hayali genannt, von hayal – Traum, Illusion; hat er einen Helfer, so heißt dieser Yardak, von yardım – Hilfe.
Alle Figuren kommen unter Begleitung von Musik auf die Bühne, so dass der Hayali in gewissem Rahmen ein guter Sänger sein sollte.
Lange Zeit gehörte das Karagöz Schattenspiel zu den beliebtesten Unterhaltungsformen.
In moderner Zeit nahm seine Bedeutung zusehends ab, und heutzutage ist die Zahl der professionellen Karagöz Meister an einer Hand abzuzählen.
Emin Şenyer
Weitere Informationen zum Karagöz Schattenspiel:
Emin Şenyers Seite www.karagoz.net
Karagöz bestellen:
Bücher und Literatur, Geschichten, Hörspiele, DVDs und vieles mehr über das Schattenspiel finden Sie beispielsweise bei Amazon.de: