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Türkische Mentalität

Komşuluk Öldü - Türkische Gastfreundschaft und Freunde

aus der Fernsehserie Genis Aile (große Familie) um den Streit zweier Nachbarjungen um das Nachbarmädchen

Komşuluk Öldu – Die Nachbarschaft ist tot! Diesen Satz hört man immer wieder, wenn Türken über ihre Nachbarn sprechen. Das bedeutet nicht, dass diese etwa für immer die häusliche Gemeinschaft verlassen hätten, sondern – ähnlich wie man es auch in Deutschland oft beklagt, dass das nachbarschaftliche Verhältnis nicht mehr das ist, was es mal war. Früher war eben alles besser.

Türkische Gastfreundschaft und Istanbuler Mentalität

Bücher zur türkischen Mentalität und Gastfreundschaft

Allerdings bezweifle ich, dass „früher“ in Deutschland die Nachbarschaft denselben Ausdruck fand wie im viel beklagten „heute“ noch in der Türkei. Dafür ist das Verständnis vom Ich und dem Anderen, von Privatsphäre einfach viel zu unterschiedlich. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, selbst bei meiner besten Freundin jemals unangemeldet aufgetaucht zu sein – zumindest lässt man bevor man losfährt mal das Telefon klingeln, der andere könnte ja gerade was Wichtiges zu tun haben.

In der Türkei geht man offenbar davon aus, dass die Leute nichts Wichtiges zu tun haben, oder eher: je wichtiger es ist, desto besser ist es, seine Freunde dabei zu haben. Das führt dazu, dass diese ganz selbstverständlich ohne jede Voranmeldung erscheinen. Zu jeder Tageszeit. Und nicht selten in Begleitung all ihrer Freunde, die sie auf dem Weg zur Tür selbst getroffen haben. Für deutsche Auswanderer, die das nicht gewohnt sind, kann das ein Kulturschock sein.

Geschichte Istanbuls

Tatsächlich gehört es hier zum Alltag, dass Hausfrauen, sobald die Arbeit zuhause getan ist, ihre freie Zeit gemeinsam bei Tee und vielen Leckereien verbringen. Das macht durchaus Sinn, denn wer in einer normal großen Wohnung wohnt, ist ja irgendwann mal mit dem Putzen fertig und langweilt sich sonst leicht den Rest des Tages, zumal es in der Türkei, selbst in Istanbul, unter Frauen nicht üblich ist, mal eben shoppen zu gehen oder sich im Cafe um die Ecke mit der Freundin zu treffen. Das mag auf eine Mischung von religiöser Sittlichkeit bzw. Bequemlichkeit (verschleierte Frauen nehmen allein unter Frauen das Kopftuch ab, können sich bequem im T-Shirt bewegen etc., was Frau in der Öffentlichkeit eben nicht tut), hergebrachten Normen und der oft etwas drückenden finanziellen Situation zu tun haben.

Im Ergebnis aber teilt hier praktisch niemand meine Vorliebe dafür, gemeinsam mal was draußen zu unternehmen, sondern wird, vor die Wahl gestellt, jederzeit die heimische Küche vorziehen. Oder die des Nachbarn.

Was die arbeitende Bevölkerung betrifft, die für solche Nachmittagsvergnügungen keine Zeit hat, so könnte man meinen, dass man hier wie in Deutschland, wenn man abends müde von der Arbeit kommt, entweder vor dem Fernseher zum Couch-Potato mutiert oder sich mit Freunden beim Sport einen freien Kopf verschafft, um danach noch gemeinsam um die Häuser zu ziehen.

Auch hier zieht man nach der Arbeit um die Häuser, aber meist nur bis zum Nachbarn oder nächsten Verwandten, und zwar mit der ganzen Familie. Da staunt mal als Deutscher nicht schlecht, wenn es abends um 22:00 noch an der Tür klingelt und sechs Leute davor stehen. Wo man sich doch selbst berufen fühlt, nach dem vorher verabredeten Kaffee und Kuchen langsam aufzubrechen, um nicht das private Zusammensein der Familie beim Abendessen zu stören. Zwei Welten stoßen aufeinander.

Wenn mal jemand krank ist... türkische Freunde

Besonders sinnfällig wird das beim Thema Krankenbesuche. Während man in Deutschland seine Kranken eher bei schwereren oder längeren Fällen von Krankheit (oder folgender Langeweile) besucht, darauf bedacht, möglichst kurz zu bleiben und keine Arbeit zu verursachen, wird das Haus des Kranken hier zum Mittelpunkt des sozialen Lebens.

Ein Beispiel. Als meine beste Freundin schwer erkrankte und es ihr wirklich schlecht ging, habe ich mich nur getrieben von größter Sorge und unter tausend Entschuldigungen zu einem Besuch durchgerungen – um bei der Ankunft in ihrer Wohnung festzustellen, dass ich durch all die Besucher kaum zu ihr durchkam. Wo ich eine liegende, erschöpfte und besorgte Kranke im stillen Kreis der engsten Familie erwartet und mich selbst als störend empfunden hatte, empfing mich das Gelächter einer ca. 20-köpfigen Partygesellschaft. Und das meiner Freundin. Hätten all diese Leute mich in diesem Zustand belagert, wäre mir vermutlich das Lachen vergangen, ich hätte mich verpflichtet gefühlt, sie zu bewirten, begleitet vom schlechten Gewissen, dass ich nichts vorbereitet hatte (auch wenn ich ja nicht hätte wissen können, dass ich heute eine Party geben würde); meine türkischen Freunde wiederum wären empört gewesen von meinen Versuchen, mich in die Küche zu schleppen, und auch etwas beleidigt, schließlich kommt man nicht mit leeren Händen. Alles schon erlebt.

In der Tat reichen die Mitbringsel von Süßem und Herzhaftem für das fröhliche Zusammensein über Mittag- und Abendessen für die ganze nächste Woche, frisch zubereitet, tiefgefroren, falls die Krankheit länger dauert… Es kann auch passieren, dass sich einer der „Gäste“ den Staubsauger greift und das mal eben erledigt, schließlich soll sich der Kranke nicht mit sowas rumschlagen. Sehr, sehr nett. Und sehr, sehr gewöhnungsbedürftig. Für mich jedenfalls. Gott sei Dank sind die Türken in dieser Hinsicht in der Mehrheit genauso unbesorgt, wie hinsichtlich von Privatsphäre: Man weiß mittlerweile, dass ich in hektische Betriebsamkeit verfalle, wenn unangekündigter Besuch vor der Tür steht, um all das vorzubereiten, was die Gäste sowieso mitbringen oder vor Ort selber machen, und meldet sich freundlicherweise vorher bei mir an. „Hallo, wir sind auf dem Weg zu dir, soll ich hier parken oder eins weiterfahren?“

 

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